Typisch Lotta – immer anders als geplant

Samstag. Wir sitzen im Pfarrhaus. In diesem Raum haben wir vor etwas mehr als einem Jahr wegen Lottas Taufe gesessen. Der Diakon kennt uns von verschiedenen Ereignissen. Jedes Mal hatten wir etwas Besonderes geplant und wir alle müssen ein bisschen schmunzeln, dass wir auch dieses Mal zwei Sonderwünsche haben. Zum Einen sollen die Herzenswünsche der Kinder und Eltern aus dem Kindergarten für die Fürbitten genutzt werden. Zum Anderen wird eine Sängerin zwei Lieder singen. Eines davon „Mein Ziel“ hatte ich damals für Lottas Taufe rausgesucht, aber es kam nicht zum Einsatz. Das andere „Dir gehört mein Herz“ habe ich Lotta jeden Tag auf der Intensivstation vorgesungen. Den Ohrwurm hatte ich von Juli und so wurde es unser Lied.

Das Gespräch ist sehr vertraut und wir freuen uns, dass er es ist, der durch den Gottesdienst führen wird. Er sagt uns, es sei auch für ihn eine besondere Situation. Er spüre Hoffnung bei uns und er freue sich darauf diese auch bei Lottas Trauerfeier zu spüren.

Die kommenden Tage machen wir nur schöne Dinge. Wir bringen unseren Großen gemeinsam in den Kindergarten und holen ihn auch gemeinsam wieder ab. Wir gehen frühstücken, liegen lange im Bett, lesen Bücher, spielen mit dem Großen, kuscheln auf dem Sofa, gehen spazieren oder tanzen zusammen durchs Wohnzimmer.

Dann ist Donnerstag, der 13. Februar 2020. Lottas Beerdigung. Wir betreten die Kirche und setzen uns in die erste Bank. Von vorne strahlt uns Lotta von einem Bild aus an. Die weiße Urne mit der Pusteblume steht inmitten eines fröhlichen Blumenkranzes. Lottas Taufkerze brennt. Alles ist hell und freundlich. Die Kirchenglocken läuten. Unser Großer möchte bei seinem Patenonkel sitzen. Auf dem Weg dorthin, schenkt ihm ein Freund eine kleine glitzernde Herzdose mit Glassteinen. Er ist ganz stolz.

Dann beginnt der Gottesdienst. Die Worte, die der Diakon findet, lassen uns beide lächeln. Lotta wurde von vielen Menschen sehr geliebt und wir alle konnten von ihr lernen. Ich versuche nicht zu weinen. Doch dann kommt unser Großer zu uns nach vorne gelaufen. Er weint. Er weint das erste Mal seit Lottas Tod, während die Sängerin „Dir gehört mein Herz“ singt. Wir halten ihn fest und bei uns allen laufen die Tränen. Er hält die kleine glitzernde Herzdose in seiner Hand, als wenn sie ihn trösten würde. Am Ende des Gottesdienstes gehen wir drei zusammen nach vorne und zünden alle ein Teelicht für Lotta an. Danach verlassen wir die Kirche und fahren zum Friedhof.

Dort treffen wir uns mit unserer Familie, um Lottas Urne beizusetzen. Jeder bekommt einen bunten Luftballon. Der Große hat sich einen Elefanten für Lotta gewünscht. Wir wollen die Luftballons gemeinsam am Grab steigen lassen. Aber kaum am Friedhof angekommen, fängt es an zu stürmen, zu regnen, zu schneien. Das Wetter zeigt sich von jeder möglichen Seite.

Der Große zittert vor Kälte und vermutlich auch vor Aufregung. Meine Schwester zieht ihre Jacke aus und legt sie ihm um. Sie reicht bis zum Boden und von ihm ist nur wenig zu sehen. Auf dem Weg zum Grab läuft sie hinter dem Großen her, um ihn mit dem Schirm vor dem Regen zu schützen. Aber er ist immer einen Schritt zu schnell. Es ist wie in einer Comedysendung, irgendwie lustig. Am Grab angekommen, sind wir alle pitschnass, außer der Große. Nach einer kurzen Ansprache gibt uns der Diakon das Zeichen, dass wir die Luftballons steigen lassen können.

Aber typisch Lotta – immer anders als geplant – steigen die Luftballons nicht, sondern hüpfen quer über die Gräber, hängen an Grabsteinen und Grablichtern fest. Es ist zu kalt und zu nass. Wir müssen lachen. Oskar hat Fotos von diesem Moment gemacht und auch, wenn sie natürlich völlig verregnet sind, geben die Fotos die Stimmung so gut wieder.

Nach der Beisetzung trinken wir alle zusammen Kaffee, essen Kuchen und Brötchen und wärmen uns in der Sonne, die jetzt durchs Fenster scheint. Mit einem Glas Kölsch stoßen wir auf unser Lottakind an. Und ja, wir tanzen und singen sogar. Es ist schon besonders so eine tolle große Familie und Freunde zu haben.

Lotta ist jetzt fast sechs Wochen tot. Nachts träume ich, dass sie im Krankenhaus wieder wach wird, oder dass wir sie gesund zuhause haben. Dann wache ich auf. Es tut nicht weniger weh, je mehr Zeit vergeht. Nein, Zeit heilt nicht alle Wunden. Was für ein blöder Spruch. Aber man lernt irgendwie damit zu leben.

3 Antworten auf „Typisch Lotta – immer anders als geplant“

  1. Es war die schönste Beerdigung auf der ich bisher war – und ich war leider schon auf sehr vielen Beerdigungen! Auf Lottas Party wurde „das Leben gefeiert“ – und nicht „der Tod beweint“.

    Klar WURDE geweint….aber es wurde auch gelacht und Witze darüber gemacht das das Wetter eben „typisch Lotta“ war – vermutlich weil SIE nicht wollte das wir alle zu trübsinnig am Grab stehen. 8o)

    Lottas letzte Party war eine Hommage an diese kleine wundervolle Person!!!

  2. Mir haben Eure Worte zutiefst berührt. Hoffentlich könnt ihr eure Stärke, Weisheit und Lebensfreude mit in das neue Leben ohne Lotta nehmen.

  3. Die Kraft und die Daseinsfreude, welche aus den Zeilen, den Bildern und den Videos sprechen ist bewundernswert und berührend.

    Ich wünsche Ihnen, dass die schönen Erinnerungen niemals verblassen und abertausend künftige Momente voller Frohmut.

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