Die letzten Wochen – Teil 5

Ein letztes Mal kuscheln

Montagmorgen wird der Tubus einen halben Zentimeter rausgezogen. Das MRT ist für neun Uhr geplant. Ein Pfleger und ich versorgen Lotta. Waschen, Windel wechseln, Medikamente sondieren. Lotta wird in Handtücher eingewickelt, damit sie sich im MRT nicht bewegen kann… falls sie sich bewegt. Der Oberarzt kommt und verkündet, dass die Isolation aufgehoben ist und wir uns ab sofort frei bewegen können. Er bringt eine Beatmungsmaschine mit, die mit zum MRT geschoben werden kann. Lotta wird daran angeschlossen. Weitere Vorbereitungen werden getroffen, dann begleiten der Pfleger, eine weitere Schwester und der Oberarzt Lotti zum MRT. Juli und ich gehen in der Zeit Kaffee trinken. Gegen zehn Uhr ist Lotta zurück. Der Oberarzt informiert uns, dass wir vermutlich am frühen Nachmittag einen Befund haben. 

Schichtwechsel – Ein Pfleger und eine Schwester stehen bei uns im Zimmer. Der Chefarzt betritt das Zimmer und das Gefühl ist da. Er stellt sich zu Lotta ans Bett und sagt, wir haben vereinbart, dass wir reden müssen, wenn sich die Situation um Lotta ändert. Er bittet die Schwester, die gerade ihren Dienst angetreten hat, hier zu bleiben. Eigentlich wollte er zusammen mit dem Oberarzt zu uns kommen, aber er wollte uns nicht länger warten lassen. Lottas MRT ist unerwartet schlimm. Sie hat Hirnblutungen, Gewebe ist abgestorben, das Gehirn ist angeschwollen und das Stammhirn gequetscht. Ich versuche nicht zu weinen und halte mich an Lottas Fuß fest. Auch Juli ist stark, hält seine Hand an Lottas Kopf und nimmt mich in den Arm. Wir wissen was das bedeutet.

Der Chefarzt sagt uns, dass Lotta mit dem Befund nie mehr so sein wird wie vorher. Sie wird nicht mehr aufwachen. Aktuell sind es die Maschinen, die sie am Leben halten. Ich halte die Luft an. Er weiß, dass wir es geahnt haben. Er gibt uns die Möglichkeit uns zu sammeln und sagt wir haben Zeit, aber er würde es Lotta zu Liebe nicht zu lange rauszögern wollen. Die Schwester bietet uns noch an einen Sternenfotografen zu informieren. Dann sind wir alleine mit Lotta.

Das ist der Tag, der Tag vor dem wir Angst hatten, seit wir Lottas Diagnose erhalten haben. Heute wird Lotta sterben. Wir werden es nicht hinauszögern. Die Schwester ist sehr liebevoll, wie alle Menschen mit denen wir in den letzten Wochen zusammen waren. Einer der Zugänge wird gezogen. Wir lösen die EKG-Elektroden. Je weniger an ihr ist, desto besser. Lotta wird wieder sediert, zunächst eine leichte Dosis.

Ich setze mich hin und bekomme Lotta in den Arm gelegt. Sie ist schwer. Seit zweieinhalb Wochen hatte ich meine Kleine nicht mehr im Arm. Ich bin traurig, aber ich genieße die Nähe. Juli sitzt neben mir. Wir halten sie fest, küssen sie und kuscheln mit ihr. Ich sage ihr wie sehr ich sie liebe und dass sie es bald geschafft hat. Wir haben es jetzt verstanden. Sie kann und will nicht mehr. Dann tauschen Juli und ich. Er kuschelt mit Lotta und ich sitze daneben. Der Monitor schlägt Alarm. Lottas Sauerstoffsättigung fällt. Ich weiß nicht wie lange wir mit ihr kuscheln und uns verabschieden, 30 Minuten, eine Stunde, mehr als eine Stunde. Dann tauschen wir wieder.

Lotta liegt in meinem Arm. Die Schwester sagt den Ärzten Bescheid. Sie stehen um uns herum. Sie sagen es kann manchmal 30 min oder auch noch länger dauern, aber sie glauben es geht schnell. Die Sedierung wird verdoppelt. Der Ton des Monitors wird ausgeschaltet, Magensonde und Tubus gezogen. Ich sehe wie Lottas Herzchen schlägt, immer langsamer. Sie atmet nicht. Wir halten sie ganz fest. Der Chefarzt hört sie ab. Das Herzchen schlägt noch. Es dauert ein paar Minuten, dann hört er erneut ab und sagt jetzt habe sie es geschafft. Gute Reise Lotta. 

Sie lassen uns alleine. Die Schwester kommt wieder mit einer Waschschüssel und etwas zum Anziehen. Wir waschen Lotta, cremen sie ein, putzen ihr die Zähne, kämmen die Haare und ziehen sie an. Sie ist tot, aber es ist unglaublich schön sie anzufassen, sie zu küssen und zu halten. Die Schwester kommt immer mal wieder, um uns zu fragen, ob wir etwas brauchen. Juli und ich lassen uns sehr viel Zeit. Wir machen doch Fotos, was ich nie wollte, aber auch das ist schön. Der Chefarzt kommt zu uns und findet tröstende Worte. Wir haben noch die ein oder andere Frage, die er uns gerne beantwortet. Lotta wird bis 22 Uhr hier im Zimmer liegen. Sechs Stunden danach, muss ein weiterer Arzt ihren Tod bestätigen. Dann wird sie in die Kühlkammer gebracht.


Mir fällt es sehr schwer zu gehen. Ich brauche mehrere Anläufe und bin dankbar, dass die Schwester immer noch ganz liebevoll zu Lotta spricht und ich weiß, dass Lotta nicht alleine sein wird. Sie nimmt uns in den Arm.

Heute ist der 3. Februar 2020. Ein Jahr und neun Monate voller Liebe, Abenteuer, besonderen Momenten, außergewöhnlichen Begegnungen und Dankbarkeit durften wir mit Lotta erleben. Wir verlassen das Krankenhaus ohne unser kleines wunderschönes Mädchen, aber mit der Gewissheit, dass viele Menschen Lotta ganz tief in ihr Herz eingeschlossen haben.

DANKE

Wir möchten uns bei allen Schwestern, Pflegern und Ärzten ganz herzlich bedanken. Es war eine anstrengende und traurige Zeit, die ihr alle für uns so schön wie möglich gestaltet habt. Ihr seid Lotta, aber auch uns mit so viel Liebe begegnet und habt alles getan, mehr noch. Es sind Dinge, die uns sehr berührt haben. Ihr seid immer ehrlich gewesen und habt nichts für euch behalten. Wir haben viel gelernt 😉 und freuen uns darauf euch irgendwann noch einmal auf einen Kaffee mit Milch oder einen Pfefferminztee zu besuchen. 

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16 Antworten auf „Die letzten Wochen – Teil 5“

  1. Liebe stefanie, lieber Julian und lieber großer Bruder,
    Danke!
    Danke, dass wir am Leben eurer Pusteblume teilnehmen durften.
    Danke, für die ehrlichen Worte und danke dass ihr Lottas Familie seid.
    Es ist so unendlich traurig aber auch schön zugleich zu sehen, mit wieviel Liebe Lottas leben gefüllt war.

    Ich wünsche euch für die kommende Zeit viel Kraft und Liebe und wünsche mir, dass ihr euren Lebensmut nicht verliert. Ihr habt so vielen Menschen Mut gemacht.

    Gute Reise kleiner Engel ☁️

    1. Liebe Familie Pusteblume,
      ich versuche immer wieder die richtigen Worte zu finden, die meine Bewunderung und Anteilnahme zum Ausdruck bringen. Ich habe entschieden, das ich es versuchen sollte, auch wenn all diese Worte den Schmerz und die Trauer nicht nehmen können. Ich bewundere eure Stärke und unendliche Liebe, mit der ihr das Leben eurer Kinder füllt. Zusätzlich besitzt ihr noch die Kraft anderen Menschen Trost zu spenden und sie an eurem Leben teilhaben zu lassen.
      Ihr seid eine unglaubliche Familie und Lotta wird immer bei euch sein, sie wird in euren und den Herzen vieler Menschen für immer weiter leben. Lotta Pusteblume hat viele Herzen berührt und auch wenn ihre Zeit viel zu kurz war, hat sie so viel geben können.

      Ruhe in Frieden kleine Pusteblume⭐

  2. Ich sitze hier und mir laufen die Tränen. Ich wünsche Ihnen viel Kraft in der nächsten Zeit.
    Ich begleite Joni seid einiger Zeit auf seiner Facebook Seite und habe von ihrem Schicksal erfahren.
    Ich schicke Ihnen wie schon gesagt viel Kraft und eine dicke Umarmung.

    1. Liebe Steffi, lieber Julian und lieber großer Bruder

      Ich möchte mich bei euch bedanken, dass wir an Lotta’s und eurem Leben teilnehmen durften.
      Es ist unfassbar schwierig die richtigen Worte zu finden, die meine Anteilnahme, Mitgefühl und Bewunderung ausdrücken.
      Ihr habt Lotta ein so schönes und geborgenes Zuhause gegeben, mit all eurer Liebe, Kraft und Freude.
      Ich wünsche euch vom tiefsten Herzen für die kommende schwere Zeit viel Kraft und Liebe.
      Ihr habt so vielen Menschen Mut und Kraft gegeben!!!
      Bleibt weiterhin eine so fröhliche Familie!
      Liebe Lotta ich wünsche dir, dass es dir bei deiner Uroma gut geht.
      Ruhe in Frieden kleiner Engel.

      Von Herzen alles Liebe

  3. Oh man ich hab so für euch gehofft das alles gut wird. Aber für lotta ist jetzt alles gut. Ich hoffe sehr das ihr es gut verkraftet und auch euer kleiner Sohn. Lotta ist jetzt bei den Engeln und kann spielen und essen und trinken und ist glücklich und wird dort oben allen erzählen was für tolle Eltern ihr wart.
    Ich sende euch ganz viel liebe!

  4. Ihr Lieben… vor eurer Tapferkeit ziehe ich meinen Hut. Was ihr nun erlebt habt – euer geliebtes Mädchen zu den Sternen schicken zu müssen – sollten Eltern nie erleben müssen. Doch Lottas kurzer Lebensweg war scheinbar lang genug, um viele, viele Menschen in euer Boot zu holen. So viele haben ihr Herz an eure Kleine verloren! Sie kann nun von oben auf eine wunderbar erfüllte Lebensaufgabe herabblicken – und auf euch, sie wird auf euch aufpassen und euch Schutzengel sein.
    Ganz großartig finde ich die Worte, die ihr für euren Großen gefunden habt. Wie soll man einem Kind erklären, dass die kleine Schwester in den Himmel reisen wird…? Doch ihr habt das so schön erklärt, dass ich denke, selbst mancher Erwachsene bräuchte solche Worte, um Unbegreifliches ein kleines Bisschen zu begreifen.
    Lotta wird immer ein Teil von euch sein, auch wenn sie jetzt auf der anderen Seite geht.

  5. Ihr Lieben,

    es ist so bewegend zu lesen, was ihr in den knapp 2 Jahren, insbesondere den letzten Wochen erlebt habt. Lottas Zeit in eurer tollen, liebevollen Familie war viel zu kurz – aber sie war erfüllt und voller Liebe.
    Ich bin tief beeindruckt, wie ihr den großen Bruder darüber informiert habt. Das ist so schön bildlich, kindgerecht, mit einer gesunden Portion Humor und trotzdem offen und ehrlich – die Nachricht von Juli hat mich wirklich sehr berührt.

    Danke, dass ihr uns so teilhaben lasst und wir den Weg von Lotta bis hin zu ihrer großen Reise begleiten dürfen.

    Ich bin mir sicher, sie genießt das Popcorn und hält ihre Uroma ordentlich auf Trapp. Und sie freut sich auf ein großes Stück Torte zum Geburtstag ihres großen Bruders!

    Gute Reise kleine Lotta.

  6. Liebe Familie,
    ich sitze hier und mir laufen die Tränen. Ich bin sehr gerührt, wie detailliert und liebevoll die letzten Wochen geschrieben sind.
    Ich wünsche euch viel Kraft und dass ihr euch gegenseitig stärkt.
    Ich wünsche Lotta den schönsten Platz neben ihrer Uroma.
    Dank Joni durfte ich auch Lotta virtuell kennenlernen. Danke dafür.
    Fühlt euch feste umarmt
    Michaela

  7. Liebe Steffi, lieber Julian, lieber großer Bruder,

    in den letzten 21 Monaten hat eure wunderschöne Lotta viele Herzen im Sturm erobert. Meines ist eines davon.

    Lotta hat sich für ihre Zeit auf der Erde eine wunderbare Familie ausgesucht. Selten haben ich eine schönere Liebeserklärung an das Leben, die Liebe und die Familie gelesen als auf diesem Blog. In jeder Zeile kann man eure große Liebe zu einander und zu euren Kindern erkennen.

    Ihr, wie ihr die Situation angenommen habt und damit gelebt und geliebt habt seid für mich und sicher auch viele andere ein Vorbild. Danke das ihr die Menschen hier, ob bekannt oder unbekannt mitgenommen habt.
    Ich versuche ein Stück Lottaheldin mit in meinen Alltag zunehmen❤️.

    Ich hoffe ich schaffe es zu Lottas letzter Party. Denn sie hat eine wunderbare verdient und ihr auch!

    Nur das Beste für euch

  8. Liebe Lotta Pusteblume, du hattest ein kurzes aber wunderschönes Leben. Umsorgt von deinen tollen Eltern und deinem Bruder. Ich wünsche Dir eine gute Reise und viel Spass in deiner bunten neuen Welt.
    Euch Eltern und auch dem grossen Bruder sowie allen Verwandten mein aufrichtiges Beileid und viel Kraft für die kommende Zeit.

    Danke dass wir an Lottas Leben soviel teilhaben durften.

  9. Es ist so traurig es zu lesen aber dennoch schön wie gut ihr betreut wurdet.
    Es muss unendlich schwer sein , ich drücke euch ganz doll und wünsche euch viel Kraft
    Annette

  10. Hey ihr Liebe von nebenan,

    So schmerzhaft es jetzt ist zu wissen Lotta nicht mehr im Arm halten , sie nicht mehr zum Lachen bringen zu können. Nicht mehr mit ihr Spazieren oder einfach mit ihr kuscheln zu können. Ich würde die Entscheidung Lotta zu betreuen immer wieder treffen.
    Die Zeit war intensiv und wunderbar. Lotta und ihr habt mich gelehrt wie wichtig es ist im Hier und Jetzt zu leben, nicht zu vergleichen, nicht mit dem Schicksal zu hadern. Den Alltag zu feiern.
    Es fällt mir so schwer euch das persönlich zu sagen. Mich übermannt im Moment die Trauer und das Mitgefühl.
    Ganz viel Kraft euch,
    Sandra

  11. Liebe Lotta – Familie, das Wichtigste im Leben ist die Liebe! Ihr habt viel zu wenig Zeit bekommen eure Lotta mit Liebe zu umsorgen. Habt ihr aber, bis zu ihrer Reise in den Himmel, so viel Liebe geschenkt wie nur möglich. Nun wünsche ich euch ganz viel Liebe für euer gemeinsames Leben hier unten – und eine nie Endende Liebe zu eurer Lotta.
    Herzlichst, Ina♡

  12. Jedes Jahr, wenn die Sonne strahlt und der Löwenzahn auf unseren Wiesen blüht, werde ich an eure kleine Lotta denken. Nun ist sie frei wie der Wind und lacht in jedem Herzen…

  13. Liebe Steffi, Lieber Juli & Lieber großer Bruder

    Ich verfolge euren Blog von Abu Dhabi aus schon seit längerer Zeit, aber ich gestehe das ich mich nie „getraut“ habe etwas zu schreiben, zum Teil aus Sorge nicht die richtigen Worte zu finden.
    Nun lässt es mir jedoch seit ein paar Tagen keine Ruhe und möchte euch wissen lassen das ich an Euch denke.
    Leider habe ich Lotta nicht persönlich kennenlernen dürfen. Das letzte mal als ich euch drei traf im März/ April 2018 ( am Thomashof in Burscheid) war Steffi noch mit Lotta schwanger und ihr berichtet mir das es leider ein paar Komplikationen gibt.

    Auch ich möchte euch sagen, das ich Eure kleine Familie bewundere, wie ehrlich Du Steffi diesen Blog geschrieben hast, wieviel Stärke und Kraft Ihr habt und wie Ihr die Zeit mir Eurer Lotta trotz aller Widrigkeiten so freudig und glücklich verlebt habt.
    Meine Schwester Jenny und ich mussten einige Tränen vergießen und unser Mutterherz war schwer, als wir den Bericht Eurer letzten Wochen gelesen haben. Wir können uns gar nicht vorstellen wie schwer es für euch sein muss.

    Ich bin mir sicher,das es Lotta bei Ihrer Uroma auf der kleinen Wolke gut geht und das sie immer an euch denken wird.
    Von Herzen wünsche ich euch weiterhin viel Kraft, Liebe und Zuversicht.

    Jessica Rösner

  14. Mir fehlen gerade die Worte!!
    Ich bewundere eure Stärke und Liebe!
    Ich wünsche euch jetzt ganz viel Kraft und Menschen die euch auf allen Ebenen tragen!!
    Mein Herz ist voll Trauer und bei euch Claudia

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